Süßer Kummer der Vergänglichkeit

Ein altes Schamanenlied erzählt vom Streit um die Vorherrschaft in der Welt zwischen gewesenener und der kommenden Gottheit. Demnach beschlossen beide in einem Wettstreit gegeneinander anzutreten. Aufgabe sollte es sein, die besten Päonien aus allen Gegenden zusammenzutragen und daraus eine heilige Blume zu züchten, die an einem einzigen Frühlingsmorgen den ganzen Reichtum und die Schönheit des Erdendaseins ausstrahlen könne.


Als die Zeit der Bemühungen zu Ende war, gleichsam allem Neuen, das auf das Alte folgt, traten die Rivalen mit ihren Ergebnissen gegeneinander an. Es zeigte sich, dass die Päonie der gewesenen Gottheit klein aber sehr schön war. Die Blume der kommenden Gottheit aber war unübertrefflich, strauchförmig groß, mit einer makellos dunkel gefleckten Blüte und herrlichem Duft. Trotzdem war es der gewesenen Gottheit nicht möglich die eigene Niederlage einzugestehen. Vielmehr führten Wut und Enttäuschung zur Beschädigung der schöneren Blume, die danach am Stiel abknickte und nach unten hing. Daraufhin entwickelte sich ein heftiger Streit der Gottheiten, der erst wieder nachließ als sich die beiden der Hoffnungslosigkeit ausgesetzt sahen, die sie beim Anblick der abgeknickt, welkenden Blüte überkam. Sie beschlossen deshalb, dass es in Zukunft den Sterblichen überlassen bleiben solle, sich im Wettstreit zu messen. Beides aber, die Vollkommenheit und den süßen Kummer der Vergänglichkeit sollten die Menschen zukünftig in jeder Päonienblüte wieder finden, da von nun an
keine von diesen kaum mehr als 10 Tage blühen solle. Solange hatten nämlich die Gottheiten gebraucht bis sie ihren unsinnigen Streit überwunden hatten.

Auf die entscheidende Frage wer nun in Zukunft die Welt bestimmen möge, sollen beide einmütig geantwortet haben: Was nicht im Vergangenen an Zukünftigem ist, ist nicht im Neuen Bestandteil an Gewesenem.

Tags: Prosa

Drucken

  • All
  • Prosa
  • Default
  • Title
  • Date
  • Random