Der Maler und die Eitelkeit

Vor langer Zeit lebte in der Kaiserstadt der berühmte Maler Ying Yang. Mit Talent und Kunstfertigkeit hatte er es schnell zu Wohlstand und Ansehen gebracht. Deshalb waren alle sehr überrascht, als er eines Tages erklärte, er wolle sein Leben von nun an ändern, den Pfad der Eitelkeit verlassen und in der Einsamkeit leben. Haus und Vermögen überließ er einfach den Verwandten. In sein Reisegepäck nahm er außer Künstlerwerkzeugen und etwas Kleidung, auch ausreichend Geld, um sich in ein Kloster zurückziehen zu können. Als er nach langer und beschwerlicher Reise eine geeignete Bleibe im Nord-Westen des Landes gefunden hatte, schienen alle Voraussetzungen geschaffen, ein besserer Mensch zu werden. In einem Bergkloster hatte man seine Spende angenommen und ihm erlaubt in einer der Klosterzellen dauerhaft leben und malen zu dürfen. Der Raum war zwar klein, zum Malen aber ausreichend hell. Außer den wenigen Mönchen lebten im Kloster nur Ziegen, die wohl in der Lage sein mussten, sich von halb verdorrtem Gestrüpp zu ernähren. Fels und Gestrüpp schienen das vorherrschende Merkmal der ganzen Gegend zu sein. Auf dem Klostergelände gab es wenig Sehenswertes, einen Brunnen, einen kleinen Gemüsegarten und einen Ziban Mudan Blütenstrauch, alles in allem kaum Ablenkungsmöglichkeiten.

Der Maler konnte sich also ganz und gar dem Nachdenken und seiner Kunst widmen. Wie er, so sollte seine Malerei frei von jeder Eitelkeit werden. Die Mönche wussten von seinem Vorhaben und versprachen ihn nicht zu stören. Das Essen und etwas Wasser wurden ihm täglich vor die Tür gestellt. Jeden Tag nutzte der Maler und vertiefte sich so intensiv in das Bild, dass es allmählich lebendige Züge anzunehmen schien. Das was er gerade fühlte, schien aus der Leinwand unmittelbar herauszuquellen. An manchen Tagen kroch weißer Nebel hervor, manchmal verfinsterte sich der kleine Raum. Ein anderes Mal glaubte er Sonnenlicht fließen zu sehen. Häufig schienen ihn jedoch Gewitter und Sturm aus dem Bild heraus erschrecken zu wollen. Immer öfter glaubte der Maler schemenhafte Gestalten zu erkennen, die ihm Angst machten und ihn versuchten ins Bildinnere zu ziehen oder sogar zu verletzen. Von all dem ahnten die Mönche nichts. Sie hörten nur ab und zu laute Angstschreie und versuchten mit dem Gast zu reden, was er aber ablehnte. Die heftige Auseinandersetzung mit seinem Werk, veranlasste den Maler schließlich, gedanklich nicht mehr nur nach vorn zu blicken, sondern in der eigenen Vergangenheit zu forschen, bis in die Kindheit hinein. Er glaubte dort die Quelle zu finden, aus der er auch heute noch Kraft schöpfen konnte. Langsam begann er, seine Lebensfundamente abzutasten, alle Werte und Vorbilder, die ihm früher wichtig gewesen waren zu überprüfen. Dadurch fand er für sich und seine Malerei veränderte Motive und Sichtweisen. Ihm wurde klar, wie er sein Gewissen häufig mit Rechtfertigungen hatte überlisten Päonien Malereikönnen. Letztendlich war sein Hauptziel, von der Eitelkeit nicht mehr beherrscht zu werden. Ein rechter Weg dafür, schien ihm der Humor zu sein. Zunächst probierte er es mit feinsinnigem Humor, der allenfalls ein inneres Lächeln hervor brachte. Allmählich aber wurde sein Humor vielfältiger und aggressiver. Er entwickelte die Fähigkeit über sich selbst und die Schattengestalten in seinem Bild zu lachen, nicht etwa aus Angst, sondern aus innerer Überzeugung heraus. Auf diese Weise besiegte er die Schreckensgestalten. Die Mönche wunderten sich natürlich darüber, dass der Alte neuerdings laut und oft lachte. Sie hatten aber nicht die Feinfühligkeit, die Nuancen seines Lachens deuten zu können. Die Mönche vermuteten vielmehr, den Alten hätte jetzt der Wahnsinn gepackt und man müsse ihn einfach in Ruhe lassen. Als es dann nach einigen Jahren still um ihn wurde und er irgendwann sein Essen nicht mehr anrührte, öffnete man seine Zelle. Dort saß er vor seinem Bild mit zufriedenem Gesichtsausdruck und war für immer eingeschlafen. Sein Werk zeigte eine sehr schöne, schneeweiße Ziban Mudan Blüte. Solche Blüten kannten die Mönche aus dem eigenen Klostergarten. Allerdings wirkte die gemalte Blüte befremdlich. Sie schien den Betrachter auszulachen. Die Mönche diskutierten lange über das Bild und glaubten schließlich die Botschaft des Verstorbenen verstanden zu haben, dass ein Kunstwerk nämlich erst dann wertefrei bzw. frei von Eitelkeit sein könne, wenn es die Ansichten oder Absichten des Künstlers bzw. Betrachters in Frage stellen könne.

(Ziban Mudan bezeichnet die sehr robusten und wunderschönen Nord-West-Chinesischen Strauchpäonien bzw. Baumpfingstrosen mit dunklem Blütenfleck. Dieser Fleck wirkt im Kontrast zu einer schneeweißen Blüte besonders reizvoll. Diese Pflanzenart kann erst seit einigen Jahren aus China exportiert werden, deshalb ist sie den meisten Gartenbesitzern in Europa unbekannt. Unter dem Namen Ihres Entdeckers Josef Rock, wird sie als Rockii Strauchpfingstrose meist nur auf dem Raritätenmarkt angeboten. Solche Pflanzen scheinen für den Liebhaber doppelten Reiz zu haben. Auf der einen Seite wird die gärtnerische Eitelkeit geweckt, Seltenes und Auserlesenes besitzen zu wollen. Auf der anderen Seite verspricht man sich von diesen Pflanzen mit den vielen positiven Eigenschaften, neben der Schönheit auch Beständigkeit in einer kurzlebigen Zeit.)

Tags: Prosa

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