Des Phönix Geschenk
Selbst in der heutigen Zeit ist der Phönix als Fabelwesen nicht in Vergessenheit geraten. Ein Wesen, das mit seinem goldenen Federkleid einem Vogel ähnelt und zugleich besonders heilende Fähigkeiten besitzen soll. Der Phönix soll sogar in der Lage sein, immer dann, wenn seine Kräfte nachlassen, sich selbst zu verbrennen, um erneut wiedergeboren zu werden. Dies geschähe frühestens alle 500 Jahre, in der Nähe seiner Wohnorte, den ältesten und höchsten Bergen der Welt. Der Phönix lebt seit Urzeiten in Geschichten und Legenden wie der folgenden:

Das Erlebnis führt uns hoch hinauf in die Bergwelt Nord-West Chinas, wohin
sich die Götter gerne zurückziehen. In diese Gegend kommen meist nur
Hirten und auch nur die Sommermonate über, um ihre Herden weiden zu lassen.
Abgesehen von verloren gegangenem Vieh oder Krankheiten gibt es darüber
wenig zu berichten. Das Leben in den Bergen ist eintönig. Für den
Hirten Yan Bao aber hatte sich in diesem Sommer Unglaubliches ereignet, etwas,
das er nie vergessen würde und immer wieder erzählen musste:
Es passierte, als ich neulich zwei meiner Ziegen suchen musste. Plötzlich
sah ich eine kleine leuchtende Feuersäule einen Steinwurf entfernt. Ich
war neugierig, näherte mich aber vorsichtig. Vom Feuer schien aber keine
Gefahr auszugehen, also ging ich zwischen den Felsen näher heran. Beim
genauen Hinsehen, schien sich dort etwas Lebendiges zu bewegen und auch gleichzeitig
die einzige Nahrung der Flammen zu sein. Das brennende Wesen ähnelte einem
fremdartig bunten Vogel, der weder Schmerzenslaute von sich gab, noch den Versuch
unternahm zu entfliehen. Deshalb fraßen sich die Flammen immer tiefer
in seinen Körper. Dabei wurden wunderschöne Farben frei, wie bei einem
Regenbogen. Ich war dann enttäuscht, als das Feuer erloschen war und nur
noch ein kleines Häufchen dunkler Asche übrig blieb. Trotzdem konnte
ich meinen Blick nicht abwenden und nach einer Weile verwandelte sich das Dunkle
in einen schneeweiß aufsteigenden Nebel. Einige Meter über dem Boden
war der weiße Dunst etwas dünner,so dass er die Sicht auf einen erneut
erschienenen Vogel frei gab, jünger und prächtiger als zuvor. Er bewegte
seine gold glänzenden Flügel so anmutig, dass es eine Lust war ihm
zu zuschauen, wie er langsam und majestätisch davon flog. Er gewann schnell
an Höhe und meine Augen folgten ihm so lange, bis der glitzernde Punkt
hinter einem hohen Berggipfel verschwunden war. Nun fiel mein Blick wieder auf
die Feuerstelle auf dem felsigen Boden, wo vor kurzem noch Asche bzw. weißer
Nebel gewesen war. Hier stand nun ein Blütenstrauch, so groß, als
hätte er schon viele Sommer und Winter erlebt. Solche Blüten mit einem
auffälligen dunklen Fleck in der Mitte, waren mir bis dahin in den Bergen
noch nie begegnet. Schon allein des Duftes wegen wäre mir so etwas schönes
sicher aufgefallen. Deshalb nahm ich einige Blüten mit nach unten zu den
kräuterkundigen Mönchen im tiefer gelegenen Bergkloster. Obwohl die
Männer dort erfahrene Heilkräutersammler waren, hatten auch sie solche
Blüten noch nie gesehen. Als ich ihnen dazu mein sonderbares Erlebnis erzählte,
äußerten Sie Erstaunen und sie ließen sich von mir bergauf
zum Ort des Geschehens führen. Dort angekommen, zeigten sie Bewunderung
und Ehrfurcht für die wie beschrieben vorgefundene Pflanze. Sie baten mich
um die Erlaubnis diesen einzigartigen Blütenstrauch bevor es Winter würde,
in den Klostergarten umpflanzen zu dürfen. Natürlich willigte ich
ein, was sollte ich dagegen haben. Außerdem wollten die Mönche dieser
Pflanze einen angemessenen Blütennamen geben: Phönix leuchtet weiß
hervor aus dunkel glänzender Asche."
Vom Kloster aus wurde im Lauf der Zeit die Kunde von dieser außergewöhnlichen
Pflanze weiter getragen. Aus dem wertvollen Samen wurden junge Pflänzchen
herangezogen, die zunächst nur an andere Klostergärten weitergegeben
wurden. Einige Mönche sollen später bemüht gewesen sein, in den
Bergen immer wieder Samen auszusäen, um Mutter Natur das Verlorene zurückgeben
zu können.
Was nun an dieser Geschichte wahr oder erdacht sein mag, darf der Leser selbst
entscheiden. Laut Literatur wurde die beschriebene Pflanzenart von dem Österreicher
Josef Rock vor etwa 80 Jahren in einem chinesischen Kloster entdeckt und den
strauchartigen Pfingstrosen zugeordnet. Ihm zu Ehren werden heute noch solche
Pflanzen Päonia Rockii oder vereinfacht Rockii Pfingstrosen genannt.
Erst seit wenigen Jahren dürfen Rockii-Pflanzen aus China ausgeführt
werden. Inzwischen sind neben einfach weiß blühenden Varietäten
auch andere Farben und Formen erhältlich. Eine gefüllte Blütenform
trägt möglicherweise in Anlehnung an die vorliegende Legende, sogar
den Namen Phönixfeder.
Aber auch ohne an Märchen glauben zu wollen, gehören Rockii Strauch
Päonien zu den schönsten, robustesten und anspruchslosesten Strauchpfingstrosen
der Welt (vgl. hierzu auch: Hertle/Rieck, Strauchpfingstrosen, Ulmer Verlag).
Im Lauf der Zeit werden sie deshalb einen angemessenen und dauerhaften Platz
in der westlichen Gartenwelt finden.